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Das Gold des Südens

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Das Gold des Südens



  
November in der Toskana. Hoch über der Talebene von Lucca lösen sich hastig die morgendlichen Nebelschleier auf. Die ersten Sonnenstrahlen überfluten die terrassierten Olivenhänge rund um den Hügelort Matraia und geben einen atemberaubenden Ausblick auf eine idyllische Postkartenansicht frei. Das silbrig-grüne Leuchten der Ölbäume rivalisiert mit dem intensiven Grün kleiner Zypressengruppen. Dazwischen Jahrhunderte alte Steinhäuser, wie durch Bauernhand auf diesen fruchtbaren Boden gestreut. In der Ferne, hinter einer niedrigeren Hügelkette glänzt ein schmaler Streifen des thyrrenischen Meeres.
  Auch heute wird das Thermometer wieder über zwanzig Grad klettern. Ein guter Tag, um mit der Olivenernte fortzusetzen. Vor einer Woche schon hatten Marino und seine Frau Angelina begonnen die ersten Früchte ihrer rund zweihundert Bäume zu ernten. Sie gehen in altgewohnter Weise vor. Netze überspannen den Hain, um die herabfallenden Oliven einzufangen. Marino stellt eine Leiter an den Baum und steigt in die Äste. Während er mit einer Hand die Zweige festhält, streift er mit der anderen zu den äußeren Spitzen hin die Früchte ab. Angelina, steht am Boden. Sie schlägt mit einem langen Bambusstab eine Olive nach der anderen aus den Baumwipfeln. So hoch hinauf wagt es Marino nicht zu klettern, das Risiko eines Sturzes ist zu groß. Seinen Freund Armando hatte es letztes Jahr erwischt. Ein dumpfer Aufprall und ein angebrochener Wirbel als Folge. Nein, wenn man einmal auf die achtzig zugeht, dann sollte man etwas besonnener sein.
  Es ist mühsame Handarbeit, welche die beiden verrichten. Am Abend werden sie einen vierzig Kilo schweren Sack den Hang hinauf bis zu einem Schober schleppen, um dort den Ertrag dieses Tages dem während der Woche bereits eingebrachten Olivenhaufen hinzuzuschütten. Die Oliven lagern hier auf einem Terrakotta-Boden. Dieser entzieht den Früchten einen Teil ihrer Flüssigkeit, wohlgemerkt nur das Fruchtwasser, nicht das kostbare Öl. Je länger die Lagerung, desto höher der Ölertrag, so die Meinung der Alten. Sie wissen es nicht anders. Die Oliven müssen täglich gewendet werden, damit sich kein Schimmel bildet, Blätter und Äste werden herausgelesen. Wenn dann schließlich die für die Verarbeitung in der nahen Ölmühle erforderliche Menge von mindestens dreihundert Kilogramm erreicht ist, werden sie wieder alle Oliven in Säcke füllen und sie dorthin befördern. Solange es noch eine traditionelle Steinmühle gibt, werden sie ihre Oliven auch dort pressen lassen. Das beste Öl wird in den alten Mühlen hergestellt, davon sind sie überzeugt. Hier lässt man sich Zeit und man ist in Gesellschaft mit Gleichgesinnten, sprich Ölbauern derselben Jahrgänge. Bis das begehrte grüne Gold den mitgebrachten Glasballon füllt, überbrücken sie das stundenlange Warten gemeinsam am Feuer des offenen Kamins. Man beträufelt geröstetes Weißbrot mit den ersten Tropfen frisch gepressten Öls. Ein Akt, der sakralen Charakter hat und zu den Höhenpunkten im Jahr zählt. Es sind oft die kleinen Dinge, die für die Mühen der Arbeit entlohnen und helfen ein Stück Lebensglück zu verinnerlichen. Fünfzig Liter Öl wird schließlich der Ertrag und Lohn für eine Woche Arbeit der beiden sein.
  Im Keller zuhause entleeren sie dann den Inhalt ihres Glasballons in einen ausgehöhlten Granitblock. Dieses Gefäß stammt noch von Marinos Großvater. Ihrer Meinung nach gibt es kein besseres Behältnis zur Aufbewahrung von Öl, als dieses. Sie wissen es nicht anders. Doch sie wissen, dass sie zu einer aussterbenden Generation gehören. Die Uhren laufen jetzt anders. Vorbei die Zeit, als die Bäume fünf, sechs Meter hoch, zu einem Wald gebündelt dastanden, als man jeden Meter Boden nutzte und unter den Bäumen zusätzlich Gemüse, Kartoffeln und Getreide anbaute. Vorbei die Zeit der mühevollen Handarbeit. Die jüngeren Bauern haben die Bäume auf halbe Höhe herunter geschnitten, der hochtourige Lärmpegel von Motorsensen erstickt den Gesang der Vögel, an Stelle der Handlese klappern von Kompressoren angetriebene Rüttelkämme die Oliven vom Baum …tatsächlich gab es aber zu keiner Zeit so etwas wie eine die Olivenernte begleitende Romantik.
  In den modernen Ölmühlen durchlaufen die Oliven zur Säuberung ein Wasserbad und werden in einer weiteren Apparatur automatisch von Blattwerk und Ästen befreit bevor sie durch Stahlmesser zu Brei zermahlen werden. In einem geschlossenen System aus blitzendem Edelstahl wird der Olivenbrei geknetet und schließlich gepresst. Die Gefahr der Oxidation, der vorzeitigen Alterung des Öls, ist auf ein Minimum reduziert.  Dies alles computergesteuert bei minuziöser Temperaturkontrolle, soll heißen unter dreißig Grad. So bleiben wichtige Vitamine im Fett erhalten.
  Innerhalb von nur einem Jahrzehnt hat diese Revolution in der Olivenölherstellung die Kleinbauern erreicht und hat damit Jahrtausende alte Ernte- und Herstellungsverfahren abgelöst.  Von der Ernte bis zur Pressung ist jeder Schritt dem Zeitgeist unterworfen, schnell muss es gehen, sauber und ohne Unterbrechung. Effizienz heißt hier die Balance zu halten zwischen der konsequenten Forderung nach höchster Qualität des Produktes, also einer rigorosen Kaltpressung, welche den Kompromiss eines geringeren Ölertrags nach sich zieht und dem Anliegen der Bauern ihre Edelstahlkannen ansehnlich gefüllt zu sehen. Die Qualitätskontrolle wiederum wird nicht mehr dem Gaumen der Familien anvertraut, auch das Fläschchen mit Öl aus Lucca, welches hier früher von professionellen Öleinkäufern zur Gegenprobe mitgeführt wurde, hat ausgedient. Heute sind es ausgebildete Ölverkoster, die in Gruppenarbeit zu einer Bewertung der verschiedenen Öle kommen, so wie es der der IOOC, der internationale Öl-Rat beschlossen hat. Fast olympisch hört sich das Signum dieses Vereins an und dementsprechend ist man auf der Suche nach Superlativen. Die Öle werden in Kategorien eingeteilt, in Leicht-, Mittel- und Starkfruchtige, in Sortenreine und Gemischte. Innerhalb dieser wird von der Jury ein Fragenkatalog abgearbeitet, man sucht nach positiven Eindrücken, nach Pikantem, nach Apfel, nach Mandel, Artischocke, grüner Tomate, Kräutern und anderem, aber auch nach negativen Impressionen, nach Metallischem, Schlammigem, Saurem, Ranzigem und ähnlichem. Am Ende gibt es Punkte, wie für einer Kür. Jeweils ein Sieger wird ermittelt. Als „Gold des Südens“ soll das Produkt schließlich seinem gebräuchlichsten Attribut gerecht werden.
  Und davon profitiert letztendlich daheim auch die Großzahl an Verbrauchern. Diese Herangehensweise an Öle, das Aufzeigen der geschmacklichen Vielfalt, die objektive, qualitative Differenzierung derselben im Zusammenspiel mit der publizistischen Arbeit von Fachjournalen hat dazu beigetragen, dass in heutiger Zeit, im unübersichtlichen Dschungel der Angebote, ein jeder auf ein hilfreiches, letztendlich fast unverzichtbares Instrument für eine bewusste Kaufauswahl zurückgreifen kann ... und dennoch...

Marco Ferroni


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